Die Arbeiten von Koo Jeong-a umfassen ein breites Spektrum an Medien und Themen. Installationen oder große Skulpturen greifen in den Raum ein und ermöglichen den Betrachter*innen ein ganzheitliches Erfassen und Erleben. Eine Grundtendenz zeigt sich in der poetischen und behutsamen Behandlung von Materialien und der poetischen Umsetzung von Themen. Sei es ein gefundenes Foto einer Verwandten, die in die Luft springend, verträumt und vergeistigt in die Kamera blickt (https://www.evn-sammlung.at/de-AT/Artwork/Details?id=132), oder die Spurensuche nach der Materialität von Elementen wie Feuer, Wasser oder Luft: Das Beachten und Beobachten von oft unscheinbaren Dingen, Kleinigkeiten oder vermeintlich Nebensächlichem wird in den Fokus genommen. Die taoistische Grundhaltung von Achtsamkeit, Rücksichtnahme und Zufriedenheit spiegelt sich auch in der Kunst von Koo Jeong-a.

Für die Tapete in der evn sammlung greift die Künstlerin auf eine nur wenige Zentimeter große Zeichnung aus dem Jahr 2019 zurück. Mit Tusche skizziert sie verästelte Linien: Dort, wo das grobporige Reispapier dunkle Tupfen formt, ergeben sich besonders dichte Stellen. Schnell nimmt man die Umrisse eines Bäumchens mit Blattkugeln wahr. Auch der Titel der Zeichnung, your tree my answer, verweist auf ein kleines Gehölz.

2021 verwendet die Künstlerin diese Zeichnung nochmals, diesmal als Radierung und für eine Druckgrafik-Edition der Fondation Beyeler in Basel. Künstler*innen waren aufgerufen, eine zeitgenössische Hommage an Francisco Goya (1746–1828) zu erarbeiten. Der spanische Maler entwarf 1777 für den Speisesaal des Prinzen von Asturien Vorlagen für Tapisserien. Für den damals noch recht unbekannten Künstler war dieser Auftrag eine erste wichtige Verdienstquelle, der ihm letztendlich auch als Sprungbrett diente. Eine der Szenerien zeigt einen Frühlingstanz mit jungen Menschen, die Topografie im Hintergrund ist eine reale (https://www.museodelprado.es/en/the-collection/art-work/dance-on-the-banks-of-the-manzanares/9a7fd0ca-37d4-40d5-8b1c-8d86394dd729). Von der linken Bildseite ragt ein (noch) spärlich belaubter Baum schräg in die Komposition. Gerade dieses diagonale Element verleiht der Bildkomposition eine fast dramatische Dynamik und gibt wie ein sich öffnender Theatervorhang den Blick auf die Tanzenden frei.

Vielleicht ist der Tanz am Ufer des Manzanares von Goya eine Inspiration für Koo Jeong-a gewesen. Jedenfalls achtet die Künstlerin auf Nebendarsteller*innen und vor allem auch auf Elemente der Natur, die eine Transformation in die Gegenwart erfahren. Die zarte Zeichnung your tree my answer wird als unbegrenzt gespiegeltes Motiv auf der Tapete und unter modifizierten Titel zum dichten Wald. Und bringt nicht nur asiatisch inspirierte Kalligrafie in den Unternehmensalltag, sondern auch das dichte Geflecht und die Überlappung von unterschiedlichen Spuren, Geschichten, Erfahrungen und Ideen aus der Welt der Kunst.

Heike Maier-Rieper, 2023