Aus der Fülle alltäglicher Objekte, Gesten und Motive konstruiert Rosemarie Trockel neue Zusammenhänge, welche die Möglichkeit einer anderen Erfahrung bieten. Ihre Arbeiten zeigen sich medial vielfältig in Objekten, Skulpturen, Zeichnungen, Fotografien oder Filmen und sind inhaltlich komplex: Persönliches wie gesamtgesellschaftliche Probleme werden angesprochen und kritisch hinterfragt.

Die Irritation vollzieht sich nicht zuletzt durch die Entfremdung vom Material. Gestrickte philosophische Zitate werden wie Gemälde gerahmt, Tierbehausungen für Läuse oder Silberfischchen werden zu Skulpturen. Durch die ursprüngliche Banalität des Objekts oder Werkstoffs werden traditionelle Denkmuster konterkariert. Viele Arbeiten beruhen auf einem ständigen Austausch zwischen Gegenständlichkeit und Abstraktion.

Das gilt in besonderem Maß für die Keramikarbeiten der deutschen Ausnahmekünstlerin. Wandbilder in Weiß, glatt und kühl wie Papier, werden durch eine undefinierte blutrote Masse, die aus ihren Linien tropft, zu etwas Organischem. Dunkelrote Teile, die überdimensionalen Zeichen einer vergangenen archaischen Kultur gleichen, korrespondieren mit metallisch glänzenden Objekten. Das Alltagsgedächtnis zieht Verbindungen zu Küchengeräten und anderem Hausrat.

Das gilt auch für die Arbeit in der evn sammlung. Pot #4 gehört zu einer Serie, bei der die Keramikmasse mit Platin glasiert wurde. Der zu vermutende „Kochtopf“ setzt einen feministischen Diskurs in Gang, der auf den Prozesses der Loslösung der Künstlerin von ihrer Mutter verweist. Aus dem Küchenutensil wird ein barock anmutendes Objekt, das Schmuck, Kunstwerk und Diskursmittel in einem ist. In der kontradiktorischen Verbindung von Realismus und Abstraktion, Opulenz und Minimalismus findet ein Verfließen der Materialität von der körperlichen zur gegenstandslosen Form statt. Auch die 1996 für die evn sammlung erworbene Arbeit aus dem „Familienportraits“-Werkkomplex und die Strickbilder- und Herdplatten-Serien sind in diesem Kontext zu sehen. Der Kosmos der Arbeiten Rosemarie Trockels ist weitläufig, vielfältig und nicht immer bequem, und lohnt doch jede Erforschung. Dadurch kann die eigene kleine Welt nur größer werden.

Georg Kargl, 2011