Mit feinem Gespür für gesellschaftliche Relevanz und mit der kompositorischen Genauigkeit eines altmeisterlichen Malers filtert Gursky enigmatische Einzelbilder aus der Topografie des modernen Lebens. Nie sind es Zufälligkeiten, die in den Blick geraten. Bildwürdig sind auch Orte, für die sich die Kunst bislang nicht zuständig fühlte: die Fertigungshalle eines vollautomatischen Textilbetriebs, der Swimmingpool eines Businesshotels, ein Selbstbedienungsrestaurant in einem Schigebiet oder – wie in PTT Rotterdam – die Sortieranlage eines modernen Großpostamts. Immer wieder sind es Knotenpunkte globaler und tendenziell unsichtbarer Netze, die sichtbar werden: Orte (oder Nichtorte) des Transports, des Tourismus oder der Finanzwirtschaft.

Es geht um das Strukturelle der Wirklichkeit. Als Gursky, der seine ersten bildnerischen Feldforschungen von Düsseldorf aus im postindustriellen Ruhrgebiet unternahm, einmal gefragt wurde, warum auf seinen großen Fotografien die Menschen zu winzigen Figuren abstrahiert werden, meinte er, dass sein Interesse der Gattung Mensch und nicht dem Individuum gelte.

Bei Gurskys Innenraumbildern fällt auf, welch perspektivischer Reichtum modernen Zweckräumen innewohnen kann. Man achtet auf die Gitterformationen abgehängter Decken ebenso wie auf ornamentale Aspekte rationaler Gestaltung. Das extreme Cinemascope-Format der zwei zusammengefügten Fotografien des Rotterdamer Postamts betont zugleich ein „Verschwinden der Fluchtpunkte, eine Entwirklichung des Geschehens“ (Neville Wakefield).

Wolfgang Kos, 2005