Der Videokünstler Anri Sala arbeitet zwischen den Geografien. In Uomo Duomo zeigt er einen schlafenden alten Mann, den er zufällig an mehreren aufeinander folgenden Tagen im Mailänder Dom „entdeckt“ hatte. Mit Diskretion und Rücksicht auf die Betenden ist es Sala gelungen, mit seiner Handkamera ein Bild dieser Person wiederzugeben. Die Ruhe der Kameraposition, die der Künstler gefunden hat, wird nur durch die ruckartigen Bewegungen der zentralen Figur unterbrochen. Der Titel der Arbeit gibt zwar einen Hinweis auf den konkreten Ort des Geschehens, das diffuse Licht erzeugt jedoch auch eine Art von unkonkreter Umgebung, deren Surrealität an Szenen aus Becketts Dramen erinnert. Ähnlich wie Beckett, dessen Werke gerade im postkommunistischen Albanien der Neunzigerjahre zu hoher Popularität gelangten, stellt auch Sala die Fragen zu Zeit, Raum und Veränderung beziehungsweise zur gemeinsamen Suche nach der Existenz des Menschen. Die Wirklichkeit der Szene ist für den Betrachter schwer einzuschätzen, und so wird aus dem „Mann im Dom“ ein Symbol des Nichtdurchschaubaren, Endlosen.

Hans Ulrich Obrist, 2005